Hallo Freunde,
Manchmal lesen motivierte Christen diesen Blog und begeistern sich für Mission. Oft treffe ich Leute, die auch gerne als Freiwillige einen Einsatz gehen wollen. Euch widme ich diesen Beitrag. Ich will aus eigener Erfahrung sprechen und werde versuchen ehrlich zu sein, auch wenn das vielleicht nicht jedem gefallen mag …
Wisst ihr, viele Probleme wären mir erspart geblieben, wenn ich mich VOR meinem Einsatz genau über meine Beweggründe und Erwartungen im Klaren gewesen wäre. Ich war 18, voller Tatendrang und Abenteuerlust und brannte für Mission. Als ich erfuhr dass (männliche) Freiwillige für die Arbeit in Haiti gesucht werden, meinte ich unmissverständlich Gottes Ruf gehört zu haben und zog los.
Ich fühlte mich geschmeichelt eine solch verantwortungsvolle Aufgabe zu bekommen. Manchmal bewunderte ich insgeheim selber meinen eigenen Mut, einfach so als junger Mann in ein fremdes Land gegangen, für Gottes Sache. Dort angekommen stolzierte ich überall als Herr der Welten herum, bereit jedem zurückgebliebenen Haitianer auf den richtigen Weg zu erklären. Ich sah mich selber im Geiste, wie ich zurück in der Heimat vor überfüllten Kirchensälen stehe, und alle Zuhörer mir gebannt lauschen und meine großen Taten bewundern.
Ich will jetzt nicht auf alles einzeln eingehen, aber soviel sei gesagt: Gott ließ mich zunächst kurz gewähren, dann nahm er mich aber in eine wirklich harte Schule. Ja, er hat mich kurz und kleingehauen, geknetet wurde ich wie eine Scheibe Ton. Rückblickend bin ich dankbar für diese Lektionen. Zerbrochen wurde mein Stolz, mit Ach und Krach kehrte ich schließlich aus dem Einsatz zurück, tief enttäuscht über Mission und Missionare. (An dieser Stelle entschuldige ich mich bei allen Unterstützern, denen ich eine heile Welt vorgaukelte, aber über vieles durfe ich damals einfach nicht schreiben.)
Leider bin ich aber kein Einzelfall. Ich kenne viele ehemalige Freiwillige, die aus verschiedensten Gründen auch sehr enttäuscht aus einem ähnlichen Einsatz zurückkehrten. Vielleicht waren manche selber schuld daran, so wie ich. Aber sicher nicht alle. Ich erlebte viele Freiwillige in Haiti, die ehrlich und von ganzem Herzen Gott dienen wollten und trotzdem demotiviert und traurig zurückkehrten. In Haiti habe ich persönliche Erfahrung, deshalb schreibe ich auch darüber. Sicher lassen sich diese Tipps aber auch auf das ein oder andere Land übertragen.
Haiti war schon immer ein populäres Ziel für einen „freiwilligen Kurzmissionseinsatz“, und die Zahl der Möglichkeiten hat sich seit dem Erdbeben 2010 vervielfacht. Helfer kommen oft mit dem Glauben, dass jegliche Unterstützung hilfreich und bitter benötigt wird. Leider haben sich aber manche Projekte mehr den Bedürfnissen der Helfer als den der betroffenen Zivilbevölkerung zugewandt, und manche Hilfsaktion richtet mehr Schaden als Nutzen an. Bevor du die Reise planst, nimm dir etwas Zeit und suche deine Organisation und Programm sorgfältig aus.
Die meisten Projekte drehen sich um Bauprojekte, Bildung oder Kinderarbeit. Hört sich eigentlich prima an, aber es gibt Dinge die außerdem in Betracht gezogen werden müssen.
Bauprojekte sind beliebt, weil sie sich konkret anfühlen und anscheinend sehr gebaucht werden. Dies führte dazu, dass viele Gebäude gebaut wurden, die aber nie wirklich exploitiert wurden. Es gibt keinen Mangel an lokalen Arbeitskräften, warum also soll man also aus Deutschland Freiwillige anheuern anstatt vor Ort einheimische Arbeiter für wenige $/Tag einzustellen?
Englischunterricht ist ebenso eine verbreitete Freiwilligenarbeit. Jedoch, solange es nicht fester Bestandteil des Kurrikulums ist, macht es wenig Sinn Freiwillige ins Spiel zu bringen, die fröhliche Songs und alberne Spiele mit den Schülern lernen, und den Lehrer mit seinem Lernprogramm ausgrenzen. Überleg dir: Was qualifiziert dich Englisch zu unterrichten? Wie effizient kannst du als Lehrer arbeiten wenn du kein Kreol (Haitianisch) sprichst?
Während es ein unschöner Gedanke ist: es gibt Fälle in Kinderheimen, wo skrupellose Menschen durch lokale Organisationen sich Zugang zu schutzlosen Kindern ersuchten. Suchen die Organisationen ihre Freiwilligen wirklich sorgfältig aus? Sind die Kandidaten im Umgang mit Kindern geschult?
Kinder bauen oft eine enge, liebevolle Beziehung zu den Freiwilligen auf, wenn diese dann wieder in die Heimat zurückkehren, gibt es schmerzhafte Trennungen. Wenn das sich wiederholt, kann es die Kinder zu emotionalen Krüppeln machen. Warum sucht eine Organisation Freiwillige zur Betreuung von Kindern, wenn das auch Haitianer machen könnten?
Bevor du dich freiwillig für irgendein Projekt meldest denk bitte über Folgendes nach:
Erstens, was könntest du in das Projekt einbringen, das nicht durch einheimische Mitarbeiter erledigt werden könnte – besonders, wenn das Projekt all das Geld das du für Tickets, Impfungen und Versicherungen ausgeben musst, zur Verfügung hätte? Oft kannst du mehr erreichen, wenn du eine lokale Organisation oder einen einheimischen Pastor direkt finanziell unterstützst, anstatt selber hinzugehen.
Zweitens, analysiere genau deine eigenen Ziele und Antriebe für die Reise. Oft begeben sich Menschen auf den Weg, weil sie Abenteuer, persönliche Erfüllung, eine lebensverändernde Erfahrung oder einfach nur Anerkennung und Ehre suchen. Es geht aber bei dieser Arbeit nicht um dich, sondern um die Menschen im Zielland. Was sind deine Beweggründe – ganz ehrlich?
Ich will nicht ausschließen, dass Gott dein ein oder anderen in die Mission ruft. Wenn du dir dessen sicher bist, dann geh! Aber für einen guten Einsatz beachte bitte folgende Punkte bei deiner Entscheidung:
1. Schaffe Arbeit, trete nicht in Konkurrenz.
Die Arbeitslosenquote in Haiti ist sehr hoch. Mehr als Geschenke oder Häuser wollen die Menschen Arbeit. Wenn sie einen Job haben können sie sich Essen, Kleidung und Haushaltsgegenstände selber kaufen. Regelmäßiges Einkommen bedeutet, dass sie ihre Kinder zur Schule senden und ihre eigenen Häuser bauen können. Ohne Arbeit sind sie auf Hilfe angewiesen und hängen von kostenlosen Nahrungsmittel und Medikamentenverteilungen der Hilfsorganisationen ab. Unverantwortlich handelnde Organisationen können so, trotz bester Absichten, den Überlebenden einer Katastrophe damit das Leben langfristig schwerer als ohnehin machen. Vergewissere dich, dass deine Arbeit nicht von einem einheimischen Mitarbeiter für Lohn erledigt werden könnte.
2. Bringe keine Sachen zum Verteilen mit dir.
Freiwilligengruppen kommen oft schwer beladen mit verschiedenen Sachen zum Verschenken an. Manche Vereine sammeln hier gezielt alte Schuhe, Spielzeug, Hygienegegenstände … etc. um diese in Haiti frei zu verteilen. Damit kann man den Menschen vor Ort, die im Straßenverkauf die gleichen Sachen zum Verkauf anbieten ihre Existenzgrundlage nehmen. Diese Menschen versuchen damit verzweifelt ihre Familien zu ernähren, durch unbedachtes Handeln kann man ihnen das Leben schwerer als ohnehin schon machen.
3. Gib dein Geld vor Ort aus.
Kauf dir ein Bild von einem Straßenkünstler. Übernachte in lokalen Gasthäusern. Kaufe haitianische Produkte. Esse ein Pate (gefüllte Teigtaschen) von der Verkäuferin an der Ecke. Lass dir mal die Schuhe putzen oder lass dir mal deine Fingernägel schneiden und lackieren. (by the way: In Haiti ist es ganz normal, wenn auch Männer das machen 😛 )
4. Biete besondere Fähigkeiten an.
Kleine non-profits vor Ort können benötigen gut ausgebildete Fachkräfte. Sie brauchen keine Hilfe beim Einkauf auf dem Markt, einem Bauprojekt oder beim Babysitten, weil einheimische Mitarbeiter dies viel besser erledigen könnten, ohne für Freiwillige zu übersetzen und auf sie aufpassen zu müssen. Wir kennen die Sprache, Preise, Kultur und Politik dieses Landes lange nicht so gut wie sie. Auch wenn es vielen nicht gefallen wird: Am effizientesten und am besten wirst du wahrscheinlich nur im Büro helfen können.
Wenn du dir nicht sicher bist ob es Gottes Wille für dich ist einen Kurzmissionseinsatz anzutreten dann
5. überlege dir, ob du einfach als Tourist verreist.
Ganz ehrlich, du kannst auch als einfacher Tourist viel Gutes tun. Es ist manchmal für ein Land hilfreicher als guter Tourist in seinen Urlaub zu genießen, als Zeit in ein schlecht geplantes Projekt zu investieren.
Ich will niemanden demotivieren. Jesus sagte: „Gehet hin in alle Welt … „ Dieser Aufruf ist nach wie vor aktuell. ABER: Wenn du missionieren willst, brauchst du heutzutage nicht mehr um die halbe Welt zu reisen. Ich habe das Gefühl, dass gerade hier, in unserem christlichen Abendland Missionare weit aus mehr benötigt werden als anderswo. Warum fängst du nicht hier vor deiner Haustüre an? Nicht cool genug? Wenn du aber hier zuhause kein Licht sein kannst, wirst du es irgendwo in einem Entwicklungsland sein können?
Gottes Segen und eine schöne Woche wünsche ich euch allen, ich freue mich auf rege Rückmeldungen 🙂
großartiger Artikel gefällt mir gut!,
ich glaube ich verlinke auf Nimm-lies darauf
Wow – klare Ansage!
Aber du hast den Nagel auf den Kopf getroffen und viele Themen angesprochen, die man vor seinem Einsatz oder als „Außenstehender“ oft nicht sieht oder auch nicht sehen kann.
Es stimmt, viele kehren enttäuscht zurück. Manchmal ist es eigenes verschulden, manchmal das der Organisation. Danke, dass du so ehrlich warst, das mal alles zusammenzufassen und ich hoffe, es werden auch viele lesen. Mir war es auf jeden Fall sehr hilfreich! Und wie man in dem Bericht herauslesen kann, war es dir auch sehr lehrreich und hat dich zum Nachdenken gebracht und ich hoffe, die Umstände haben dich im Glauben wachsen lassen und Gott hat dir die Augen für vieles geöffnet.
Gott segne dich weiterhin; setze dein Wissen und deine Erfahrungen positiv für den Bau des Reiches Gottes ein!!
Viele liebe Grüße aus Bolivien!
Hi Hedi,
darf ich fragen wie lange du schon in Bolivien bist? Mit welcher Organisation? Wie ist es dir bisher ergangen? Schreibst du Rundbriefe? Wenn ja … nimm mich doch bitte in den Verteiler auf! 🙂 -> alexfgfb@gmail.com
LG aus Berlin
Hey Alex, voll super, dass du so ehrlich bist und deine Tipps hier niedergeschrieben hast. Ich denke, jeder, der schon einen Missionseinsatz hinter sich hat, weiß genau wovon du sprichst. Deine Tipps hätten mich bestimmt damals, grad bei meinem ersten Missionseinsatz, vor einer tiefen Enttäuschung bewahrt. Aber Gott sei Dank lässt Gott uns grad in Momenten der Enttäuschung nicht allein sondern stärkt uns besonders. Uns wird oft das Bild einer heilen und gelungenen Missionswelt vermittelt. Das Positive wird rausgepickt und das Schlechte verschwiegen. Aber so soll es nicht sein und das wäre auch gar nicht biblisch. Jesus sagt: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.!“ Jesus hat nie gesagt, dass seine Nachfolge leicht sein wird, sondern es ein tägliches Tragen eines Kreuzes ist. In welcher Form auch immer dieses Kreuz aussehen mag ist bei jedem anders! Aber echt, voll super!
Hallo liebe/r Unbekannte/r,
Ich kann dir nur zustimmen. Ich kann auch die Missionsorganisationen verstehen, man fürchtet den Image/Spenderverlust, deshalb schweigt man über Schwierigkeiten. Es ist jedoch wichtig Probleme und auch Fehlentscheidungen nach innen und außen zu kommunizieren. So wäre es richtig und biblisch …